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Das Paradies


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Die Sünde
18.10.2024 - 20:00:00 Uhr
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So ein doppelter Boden ist schon faszinierend. In dem engen Zwischenraum lagern oft gut gehütete Geheimnisse und Kostbares. Magier lassen im doppelten Boden gerne Dinge verschwinden. Vielleicht ist es kein Zufall, dass Florian Sievers, alias „Das Paradies“, ausgerechnet während seiner Arbeit an seinem neuen Album „Transit“ einen zweiten Boden in seinem Leipziger Studio eingezogen hat. Dem Zweitling haftet auch etwas Rätselhaftes und zugleich Magisches an.
Es sind die Kontraste, die Zwischenräume, die Das Paradies ständig sucht und findet. Über dem gesamten Album „Transit“ schwebt eine schwer zu greifende Klangwolke, an allen Ecken und Enden knarzt, zirpt und flackert es, mal bedrohlich, mal unheimlich und melancholisch, dann wieder wohlig warm. Da warten überall neue Soundcollagen, die auf- und wieder abschwellen, die vordergründig und hintergründig zugleich sind. „Die klangliche Dichte in den Songs ist nach und nach zum Konzept geworden. Es ging darum, die Hierarchie zwischen den Instrumenten aufzubrechen. All diese Töne und Geräusche sollten sich gegenseitig festhalten“, sagt Sievers über seine neue Musik, die sich elektronischer gibt als bisher und mehr Haken schlägt
Mit „Goldene Zukunft“ gelang Florian Sievers 2018 eines der bemerkenswertesten deutschsprachigen Debütalben der vergangenen Jahre. Plötzlich war da einer, der Songs schreiben konnte, die irgendwie neu waren, die sich so lustvoll und unverkrampft vom dem abhoben, was der deutschsprachige Pop musikalisch und lyrisch zu bieten hatte. Paradies-Songs: Das sind eingängige, identitätsstiftende, inspirierende Songs, die niemals flach sind und immer gespickt mit blitzgescheiten Metaphern.
Die Dinge kamen ins Rollen. Man unternahm ausgedehnte Konzertreisen, unter anderem mit Element of Crime (Sven Regener spielt im Opener von „Transit“ die Trompete). Im Herbst 2020 kam dann die EP „sammlung 1/ pause an der kurve in vektoria“, die einem völlig anderen Prinzip folgte. Die Gitarren verstummten. Auch Sievers selbst schwieg. Am Gesang und Spoken Word hörten wir Gastsänger:innen wie Keshavara, Albrecht Schrader oder Mira Mann.
Wie schon bei der EP war auch bei den Aufnahmen zu „Transit“ das Studio das wichtigste Arbeitsinstrument. In einem Atelier im Westen der Stadt hat sich Sievers eines eingerichtet – ja, genau, das mit dem doppelten Boden. Hier entsteht mitunter Film- und Theatermusik. Hier arbeitet er für und mit anderen Bands und Musiker:innen an deren Songs und Sounds. Und hier hat er auch die meisten Spuren für „Transit“ eingespielt, Instrumente arrangiert, Collagen aus Geräuschen, Sounds und Glitches gebaut. Sicher: Wer sein Album „Transit“ nennt, muss auch unterwegs gewesen sein. So hat Sievers auch von Ausflügen nach München, Wien und Nordfriesland immer wieder Schnipsel und Versatzstücke seiner Klangwelten mit nach Hause genommen. „Das Schreiben, das Aufnehmen und das Klangsuchen: All das hat sich gegeneinander angezogen und abgestoßen“, sagt er selbst. Kontraste also, wieder einmal.
So ist auch das mit den Texten auf „Transit“ eine spezielle Sache. Sievers scheint Claims zu finden, sie als Hinweis zu verstehen und als Portal in die Songs zu nutzen, durch die er seine Figuren führen kann. Was in einem Mix aus Collage und Stream Of Consciousness entsteht, wirkt erstaunlich konkret. So erzählt uns Sievers von den Dingen, „die wir uns heute sagten“, oder darüber „dass du im Schlaf lachst“, er beklagt einen „Verschleiß von dir und mir“, oder berichtet, wie er in Wien von einem Fremden
gebissen wurde. Alltägliches, Rückschläge, Skurriles, Beklemmendes, dann aber auch wieder Momente der Hoffnung werden da verarbeitet. „Transit“ erzählt von Menschen an Kipppunkten, vom Gefühl der Entrückung und der traurig-schaurigen Leichtigkeit des Seins. Das Erbauliche liegt auch lyrisch mehr im Dazwischen als im Offensichtlichen. „Ich glaube, in Zwischenräumen finden wir neue Ideen und Perpektiven, da werden neue Türen aufgestoßen und neue Verbindungen geknüpft“, sagt Florian Sievers. Man kann in diesen Songs wohnen und wird immer wieder neue (Zwischen-)Räume finden. Gleichzeitig sind sie voller Zeilen, die man sofort im Geiste notiert.
Das war auch beim Debütalbum so. Und doch hebt sich „Transit“ von seinem Vorgänger ab, beschreitet neue Pfade, wagt Neues. Sievers befreit sich von Erwartungen und erfindet sich immer wieder neu. Sein Alias scheint für ihn ein Ort zu sein, an dem alles passieren darf. „Vielleicht ist Transit das zweite erste Album vor dem dritten ersten Album“, sagt Sievers selbst.
Ob es einen Genrebegriff für diese Musik gibt? Florian Sievers entfernt sich mit diesen Songs auf jeden Fall noch einmal einige Schritte von dem, was in deutscher Musik sonst so geschieht. Als Referenz taugen deshalb wohl weniger deutschsprachige Acts, eher sind es The Notwist, Unknown Mortal Orchestra oder Damon Albarn die einem in den Sinn kommen. Womöglich ist „Transit“ ein weiterer Baustein in der Beweiskette, dass die Idee klassischer Genre-Zuschreibungen in der Musik auserzählt ist. Womit wir also wieder bei diesem magischen Zwischenraum des doppelten Bodens wären.

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